Bildschirmfoto 2024 03 29 um 21.19.20Serie: DIE EWIGE FLAMME - Gabriele D'Annunzio und sein unvergänglicher Einfluss auf Kultur und Politik, Teil 7/15

Davide Zecca

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am Abend des 13. Mai 1915 in Rom heizte er die Stimmung bis zum Siedepunkt an: „Kameraden, es ist nicht mehr an der Zeit zu reden, sondern zu handeln. Jeder Gewaltexzess ist jetzt legitim, um zu verhindern, dass sich das Vaterland verliert!“. Eine Menschenmenge drängt und schubst, um jedes Wort des schillernden Poeten hören zu können. Zu seiner Rede skandieren die Menschen euphorisch „Viva l' Italia!“.

Der poetische Soldat gießt mit der unterstützenden Kraft der mächtigsten Zeitung Italiens, „Corriere della Sera“, unter Leitung Luigi Albertini, Öl ins Feuer und hetzt gegen den liberalen Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti und seine „Neutralisten“, bezeichnet diese als „Speichellecker“ und eine „Handvoll Schurken“, die von einem „fetten alten Henker“ (Giolitti) angeführt werden. Dann ist es so weit: Monatelang hat der Premier gezögert, mit beiden Seiten um den besten territorialen Preis verhandelt und das bessere Angebot der Entente angenommen. Am 23. Mai erklärt Italien Österreich-Ungarn den Krieg – und noch am selben Tag äußert sich Kaiser Franz Joseph zu dieser unerwarteten Entscheidung: „Der König von Italien hat Mir den Krieg erklärt. Ein Treubruch dessengleichen die Geschichte nicht kennt, ist von dem Königreich Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden.“

Während der alte Kaiser der Habsburgermonarchie vom „Treubruch“ spricht, meldet sich der nationalistische Dichter medienwirksam - er war einer der ersten, der im Ersten Weltkrieg stets einen Fotografen bei sich hatte - mit seinen 52 Jahren als einer der ersten Kriegsfreiwilligen beim Regiment „Lancieri di Novara“. Als begeisterter Soldat, insbesondere als Flieger, nahm er am Ersten Weltkrieg teil, um sein Motto „memento audere semper“ („Denke daran, dich immer zu trauen“) gerecht zu werden.

Am 16. Januar 1916 erlitt er jedoch nach einer Notlandung eine Verletzung an der Schläfe und am rechten Augenbrauenbogen. Die daraus resultierende monatelang unbehandelte Wunde führte zum Verlust des Auges, das er mit einem Verband bedeckte. Diese irreversible Verletzung nahm er als Inspiration, und nannte sich selbst „l'Orbo veggente“ („Einäugiger Seher“). Höhepunkt dieser Karriere war ein teils kühner, teils schrullenhafter Flug über Wien. In den Lüften fühle er sich wie neugeboren, „ero rinato“, schrieb er im Nachtrag zu "Notturno“. Dabei ist der „neugeborene“ Dichter mittlerweile 55. Am 9. August 1918 stieg er um 5.50 Uhr in der Nähe der Provinz Padua am Flugplatz San Pelagio in einen Kampfbomber, um einen Flug von tausend Kilometern anzutreten, wo Geschwindigkeiten über 230 km/h erreicht werden; der eisige Wind in 600 bis 800 Meter Höhe und heftige Unwetter erwarteten ihn.

Das Ziel: Wien. Im Gepäck dabei diesmal keine Bomben, sondern ca. 400.000 Flugblätter mit propagandistischem Inhalt. Zwanzig Minuten kreist er mit seinem Flieger bei Tageslicht über der österreichischen Hauptstadt, dabei sollte der Flug einem rein "politischen und demonstrativen Zweck" dienen, und zwar "die unangefochtene Macht" der italienischen Luftwaffe im Wiener Luftraum als "Symbol der angeborenen Energie der italienischen Rasse" zu demonstrieren. Hunderttausende weiße oder in den Farben der italienische Tricolore gedruckte Flugblätter wurden über Wien abgeworfen, manche stammten von D'Annunzio, andere vom Journalisten, und Literaturkritiker Ugo Ojetti, vom Letzteren in deutscher Sprache. Dabei endete die Propagandabotschaft mit dem Satz: „Das Drohen der Schwinge des jungen italienischen Adlers gleicht nicht der finsteren Bronze im morgendlichen Licht. Die unbekümmerte Kühnheit wirft über Sankt Stephan und den Graben das unwiderstehliche Wort ab: Viva l’Italia!“.


Foto:
Zeichnung:
Gerd Kehrer - MEMORANDUM - 2/6
Zu den Kriegen sowie der Zerstörung der Umwelt im 21. Jahrhundert.
Kohle und Tusche auf Karton, 30 x 30 cm. (C) 2021 Gerd Kehrer

Info:
Die bisherige Serie: 
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/30992-sein-leben-als-kunstwerk
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/31000-wort-und-schoepferkraft-als-seine-unangefochtene-dynamik-einer-der-ersten-influencer
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/31015-frauenverfuehrer-von-3-000-damen-und-ein-raubvogel
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/31029-der-traum-aller-intellektuellen-maenner-staendig-untreu-zu-einer-staendig-treuen-frau-zu-seinhttps://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/31031-gabriele-d-annunzio-der-kandidat-der-schoenheit-und-seine-anfaenge-in-der-politik
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/31156-viva-l-italia-und-l-orbo-veggente-ueber-wien