Serie: Füsslis Nachtmahr im Goethemuseum, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist unheimlich dieses Bild. Fürwahr. Und es drückt nicht nur Unheimliches, schwer zu Sagendes aus, sondern verkörpert seinen Gehalt im Gemälde selbst, zeigt uns also, was nur die bildende Kunst kann: unser Inneres abzubilden. Uns selbst.


Zugegeben, das können Worte auch. Aber dazu braucht man dann doch sehr viele, als es ein einmaliger Blick auf das Gemälde sofort kann,  das Welten eröffnet. Und wie es sich mit den Bildern in uns und den vielen psychoanalytischen Sitzungen und den vielen Worten verhält, wußte der, der das Tun der Künstler seit der Antike (griechische Dramen, Katharsis etc.) in analytische Worte faßte, Sigmund Freud, auch. Dieses Gemälde, 1790/91 vom Schweizer Künstler Johann Heinrich Füssli als 2. Fassung geschaffen und heute in Frankfurt zu Hause, besaß der Wiener Psychoanalytiker auf jeden Fall als Druck.

Wenn man nun im Goethemuseum die Ausstellung besucht, geht man direkt auf das Gemälde zu. Das war in Zürich auf der großen Füssli-Retrospektive 2005/06 noch anders, wo Füsslis Nachtmahr in Konkurrenz zu sich selber hing, denn die erste zehn Jahre früher geschaffene Fassung war aus Detroit gekommen und zeigte anschaulich auf, worin sich die beiden Nachtmahre unterscheiden. Unsereiner kannte den seit 1953 im Goethemuseum beheimateten  Nachtmahr von Füssli immer schon – und hört nun erstaunt, daß die jetzige gleichzeitig die erste Ausstellung dieses heute wohl bekanntesten Werkes des Museums im eigenen Haus ist – wenn wir Goethes Konterfeis mal außer acht lassen.

Daß selbst Frankfurter - und Kunsttouristen erst recht - dieses Bild im Städel wähnen, hat gute Gründe. Erstens ist es in den 90ern dort in der Sammlung präsentiert worden, als langjährige Umbaumaßnahmen im Goethemuseum stattfanden, und dann hat die vielbesuchte Ausstellung SCHWARZE ROMANTIK Füsslis NACHTMAHR groß herausgebracht; zu Unrecht in diesem Kontext, meint die Kuratorin Petra Maisak. Denn Füssli sei kein Vertreter der Schauerromantik, sondern einer der Aufklärung, seine Geschöpfe darum welche der Aufklärung, deshalb doch eher im Kontext mit Goya zu sehen. Dessen Druck EL SUENO DE LA RAZÓN PRODUCE MONSTRUOS  birgt ja zwei deutsche Übersetzungsmöglichkeiten, die direkt in das Gemälde von Füssli weisen. Sueño kann Schlaf heißen oder auch Traum, was ja Unterschiedliches ist. Aber anders als bei Füssli sehen wir bei Goyas Schläfer die bildlichen Inhalte dessen, was er träumt oder was der Schlaf hervorbringt: Ungeheuer. Da ist Füssli unklarer, vieldeutiger.

Übrigens sind die Caprichos, denen Goyas Radierung entstammt, 1799 veröffentlicht worden und man kann sicher davon ausgehen, daß Füssli dieses Bild kannte. Man würde sich so gerne mit einem Vergleich intensiver beschäftigen, aber die Vielzahl der mehr als 150 Exponate der Frankfurter Ausstellung: Gemälde, Zeichnungen, Graphiken, Bücher und Filme zwingen einen, erst einmal dabei zu bleiben. Und die Betitelung der Ausstellung ernst zu nehmen, die von TRAUM UND WAHNSINN spricht. Nicht von Vernunft und auch nicht von den Ungeheuern, die Vernunft narkotisieren oder sie gar auslöschen.

Was ist das überhaupt für ein Wort, dieser vom Künstler gewählte Bildtitel, von dem wir schon mal sagen dürfen, daß er literarisch und auch sonst hochgebildet war. ‚Nigtmare‘ auf Englisch, „Nachtmahr“ auf Deutsch? Heißt es die Mahre oder der Mahre, was meist nur als Mahr dann weiterverfolgt wird und einem mythologischen Wesen entsprechen soll, das man heute Nachtalb nennt. Darunter findet man dann Erklärungen wie, daß Mahr eben ein Alb ist, der in der Nacht auf Menschen lastet, daher Albtraum, also ins Innere der Menschen schlüpfen kann, aber als kleines schwarzes Wesen vorher auf den Menschen sitzt. Es kann seine Gestalt verändern, kann durch Schlüssellöcher schlüpfen und in Astlöchern überwintern. Auf jeden Fall macht der Mahr Angst, flößt Grauen ein, nimmt den Atem, erzeugt diesen Druck in der Brust, der auch als Alpdruck bekannt ist.

Aber – und hier sind wir mitten in Füsslis NACHTMAHR – dieses Wesen ist auch erotisch konnotiert. Noch schlimmer, es übt Geschlechtsverkehr aus. Der Übergang zu anderen gedachten Wesen einer Zwischenwelt von Wiedergängern und Gespenstern ist fließend, auf jeden Fall handelt es sich um ein vorchristliches und auch ein internationales Motiv, eine Gestalt, die viele Gestalten annehmen kann, weil die äußere Hülle nicht zählt, sondern nur die innere Verfassung, die Gedanken und Wünsche.

Es ist zwar sehr erhellend, dies zu hören, aber nach solcher langwieriger Informationsaufnahme stellt man als Betrachter des Bildes fest, daß man das alles selbst schon erschaut hat. Auf einen Blick. Viel wichtiger wird, die Grauzone aufzulösen, die die Gestalt der dahingeflossenen Frau im weißen Nachtgewand bedeutet. Fortsetzung folgt.

Foto: Die Erstfassung von 1780-82, heute Detroit © blog.staedelmuseum.de

Info:

Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 10.00-18.00 Uhr, Sonn- und Feiertage, 10.00-17.30 Uhr
Abweichende Zeiten: 14.04. (Karfreitag) geschlossen; 06.06. (Wäldchestag) 10.00-13.00 Uhr

Ausstellung im Goethemuseum bis 18. Juni 2017;
Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover 22. Juli  15. Oktober 2017

Katalog: Füsslis Nachtmahr. Traum und Wirklichkeit, hrsg. von Werner Busch und Petra Maisak, Michael Imhof Verlag

Das reichhaltige Rahmenprogramm wird noch vorgestellt.