tachlesDAS JÜDISCHE LOGBUCH Ende August

Yves Kugelmann

Bern (Weltexpresso) - Die Schweiz hat wieder ihren Skandal. Er wird natürlich keiner werden. Dafür ist die Schweiz zu klein, vielleicht zu unwichtig, die Skandale rundherum größer – und alles in x Kommissionen ertränkt. Dieses Mal geht es um den Schweizer Rüstungskonzern Ruag. Rüstungsgeschäfte rund um Panzerlieferungen für die Ukraine und Korruptionsverdacht haben Bundesrat, Behörden und den Konzern selbst veranlasst, Untersuchungsbehörden einzusetzen.

Auf dem Bundesplatz in Bern merkt man in dieser Woche nichts von der medialen Aufregung. Bei Temperaturen über 35° herrscht Ferienstimmung. Rüstungsindustrie und Neutralität gehen in der Schweiz ebenso zusammen wie der Nazi-Kollaborateur Georg Bührle und das Kunsthaus Zürich. Es gibt Dinge, die stehen für sich selbst, bis sie bis zur Unkenntlichkeit zerredet werden. Die Neutralitätsdebatte ist keine – und genauso eine. Zuletzt ist sie im Kontext von Ukraine-Krieg und Haltung zur NATO ansatzweise debattiert und wieder versenkt worden.

Der Bundesrat sieht die Neutralität generell so: «Die dauernde Neutralität ist ein Grundsatz der schweizerischen Außenpolitik. Sie trägt bei zum Frieden und zur Sicherheit in Europa und jenseits der Grenzen Europas. Sie dient der Sicherung der Unabhängigkeit unseres Landes und der Unverletzlichkeit des Staatsgebiets. In Übereinstimmung mit dem Neutralitätsrecht nimmt die Schweiz nicht an Kriegen zwischen anderen Staaten teil.»

Unter den Berner Arkaden hängt ein Plakat zum Film «Oppenheimer». Da sind sie wieder – die Neutronen. Neutral. Und doch Teil des Atoms und somit Teil des Ganzen. Das isolierte Neutron ist aber nicht nichts, wird instabil und kann durchaus eigene Kräfte freisetzen. Allegorien über richtige und falsche, aber eben symbolische Allegorien. Die Realität dekonstruiert jeweils jeden Teil dieser bundesrätlichen Prämissen. Während sich weltweit die geopolitischen Architekturen wandeln, an diesem Bern-Tag die BRICS-Staaten die Weltordnungen der Zukunft formulieren, geht die Schweizer Gemächlichkeit weiter. Denn die Gewissheit, dass der nächste Skandal vor der Tür steht und dann sowieso keiner wird, versetzt die Schweiz in die Dornröschenruhe im ohnehin überempörten Europa. Wenigstens bleibt diese Kontinuität stabil.

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©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 25. August 2023 
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.