
Thorsten Latzel
Rheinland (Weltexpresso) - Wie hoffnungsvoll blicken Sie eigentlich in die Zukunft? Auf einer Skala Von 1: „Alles Scheiße, Deine Emma“ – über 5: „Früher war mehr Lametta“ – bis 10: „Vergnügt, erlöst, befreit. Mir scheint die Sonne aus allen Knopflöchern.“ Wie würden Sie sich einordnen?
Hoffnung. Es gibt vielleicht kaum ein Thema, das die Menschen in den vergangenen Jahren so beschäftigt hat wie die Frage nach Hoffnung. Ich wurde während Corona gewählt, dann kamen Flut, Krieg in der Ukraine, Teuerung, Anschlag der Hamas, Krieg in Gaza, Trump die Zweite, die fortdauernde Klimakrise. Ein Journalist drückte das im Gespräch mit mir so aus: „Angesichts der Lage in der Welt, worüber ich ständig berichten muss, geht mir meine eigene Hoffnung immer öfter verloren. Ich bin dann einfach leer.“
Auch im Kirchenjahr stehen wir da an einem sensiblen Punkt: Pfingsten liegt gerade hinter uns mit der Zusage des Geistes Gottes. Feuer, Sprachwunder, Menschen, die raus auf die Straße gehen. Vor uns liegt die lange Trinitatis-Zeit. Gleichsam die Mühen der kirchenjahreszeitlichen Ebene. Wie sieht es aus mit der Aufforderung aus 1. Petr. 3,15: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist“?
Ein paar offene Hoffnungsimpulse:
1. Das Wesen der Hoffnung
Hoffnung ist die Trotzkraft der Seele. Das große „Dennoch“ in Momenten letzter Einsamkeit. Der Grund, wieso ich morgens nichts einfach liegenbleibe – sondern weitermache, weiterlebe, Tag für Tag. Allem anderen zum Trotz.
Einer der schönsten Sätze, die Martin Luther wohl niemals gesagt hat,
ist ja der mit dem Apfelbäumchen. Auch wenn er nicht von Luther stammt, drückt er treffend die Haltung aus, die uns als Protestantinnen und Protestanten bestimmt. Wenn andere vom Untergang reden, setzen wir Zeichen der Hoffnung. Wir lassen uns nicht von außen bestimmen.
Dabei ist Hoffnung für mich radikal unterschieden von Optimismus. Der Optimist sagt: „Du musst nur positiv denken. Es wird schon gut. Das Glas ist doch halbvoll.“ Doch das wird leicht naiv, weltfremd angesichts der harten Wirklichkeit unserer Welt. Für die Hoffnung dagegen ist es egal, wie viel Wasser im Glas ist, ja, ob da überhaupt ein Glas steht. Weil die Hoffnung mit dem Schöpfer des Himmels und der Erde rechnet. Es gehört geradezu zum Wesen der Hoffnung, dass sie zutiefst paradox ist. D. h.: gegen den Augenschein. Weil wir glauben, dass es eben mehr gibt als das, was es gibt.
Das Wort „Hoffnung“ stammt von „hopen“, ist verwandt mit „hopsen“, „hüpfen“. Hoffnung ist das, was uns wie Kinder vor Vorfreude hopsen lässt. Was uns wie Vögel mitten in der Nacht anfangen lässt zu singen.
Auch wenn alles um uns noch dunkel ist. Der frühere Bischof Axel Noack hat das so ausgedrückt: „Christen sind Menschen, die das Beste immer noch vor sich haben.“ Das widerspricht allem, was wir erfahren. Aber das heißt es, wenn wir an den gekreuzigten Christus glauben.
2. Der Grund der Hoffnung
Der Grund unserer Hoffnung ist für mich schlicht Gott. Als Gott Himmel und Erde schuf, Licht aus der Finsternis, die Chaosfluten teilte, war ich, waren wir nicht dabei, aber Gott hat das sehr gut gemacht.
Als Gott das Volk Israel aus der Knechtschaft in Ägypten befreite, die Fluten teilte und die Israeliten durch das Schilfmeer führte, war von uns niemand dabei, aber Gott hat das sehr gut gemacht.
Als Gott Christus aus dem Tode auferweckt hat, aus dem Reich der Finsternis, der Scheol befreite und damit den Tod des Todes besiegelte,
war von uns niemand dabei, aber Gott hat das sehr gut gemacht.
Der Grund unserer tiefen, letzten Hoffnung liegt nicht in uns. Angesichts der Größe der Aufgaben kann er es auch nicht. Diese Selbstbegrenzung ist für mich höchst heilsam. Ich rette nicht die Welt, die Kirche, nicht mal mein eigenes Leben.
Wir sind vielmehr ex-zentrische Wesen – wir haben unsere Mitte außerhalb unserer selbst: in Christus. Oder mit der ersten Frage des Heidelberger Katechismus formuliert: Die Trotzkraft meiner Seele, der Grund meiner Hoffnung ist: „Dass ich mit Leib und Seele, beide im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.“
3. Der Inhalt der Hoffnung
Eine Freundin von mir sagte einmal: „Ich finde es geradezu blasphemisch, wenn eine Bekannte von mir immer um einen freien Parkplatz für ihr Auto betet. Der Schöpfer Himmels und der Erden hat doch nun wirklich andere Probleme.“ „Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz?“
Nun, ich weiß nicht, wie Sie persönlich zu Parkplatz-Gebeten stehen: Ich glaube, dass es legitim ist, dass ich mich mit meinen persönlichen Sorgen und Anliegen an Gott wende. „Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch“, heißt es ein paar Kapitel weiter im selben 1. Petrus-Brief.
Aber die Begegnung mit dem gekreuzigten, auferstandenen Christus verändert auch den Inhalt meines Betens und Hoffens. Gott garantiert mir nicht den Status quo meines Lebens, unserer Kirche, dieser Welt. Aber: Gott spricht uns zu, dass es gut wird, dass wir heil werden.
Die biblischen Hoffnungen sind dabei geradezu maßlos. Da geht es um ein altes Paar, Abraham und Sara, das kinderlos auszieht in ein verheißenes Land, das ihnen nicht gehört, damit durch sie einmal alle Völker der Erde gesegnet sein sollen. Da geht es um einen Tierfrieden, dass einmal Löwen und Lämmer miteinander grasen werden. Es geht darum, dass Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein werden, Taube hören, Tote auferweckt werden und Armen das Evangelium gepredigt wird. Es geht um die Hoffnung, dass Gott einmal alle Tränen abwischen wird und kein Leid noch Geschrei noch Schmerz mehr sein wird.
Wir sind Teil dieser 3000-jährigen Hoffnungs- und Erzählgemeinschaft. Wir lassen uns leiten von dem unsterblichen Gerücht von der Auferstehung des Gekreuzigten. Hoffnung meint gerade nicht die Absicherung des Status quo. Und gerade, weil sie maßlos, grenzenlos ist, befreit sie mein Denken, weitet meinen Horizont.
4. Das Lernen von Hoffnung
Hoffnung braucht Übung. Wir stehen im Streit der Geister. Und wir bekommen jeden Tag, in jeder Nachrichtensendung haufenweise Gründe geliefert, wieso wir nicht glauben, hoffen, lieben sollten. Ein katholischer Bischof hat mir einmal gesagt, dass er jeden Tag zwei Stunden geistliches Leben pflegt – um seine Hoffnung zu stärken. Auch wir als Protestantinnen und Protestanten brauchen m. E. eine ganz neue praxis pietatis, um unsere Trotzkraft zu trainieren.
Rudolf Bohren sprach hier von einer sportlichen Spiritualität. Mit dem Glauben ist es eben wie mit dem Sport. Wenn ich sage: „Wissen Sie, ich bin Sportler, ich komme nur leider nicht zum Trainieren“ und sitze mit Chips und Cola vor Netflix, dann stimmt was nicht.
Zu unserer protestantischen Praxis gehört etwa: Stille – um mich in meiner eigenen Geschäftigkeit zu unterbrechen und um zur Ruhe, zu Gott, mir selbst zu kommen, um zu beten. Das Lesen der Heiligen Schrift – Lesen ist allgemein wichtig, es gefährdet meine Dummheit.
Das Lesen der Heiligen Schrift noch viel mehr: Es gefährdet meine Hoffnungslosigkeit. Zum Lernen der Hoffnung braucht es Gemeinschaft,
das Teilen mit anderen, die Sakramente, das Einanderdienen, die Feier des Gottesdienstes. Eben so zu leben, dass es ohne Gott keinen Sinn ergibt.
5. Leben in Hoffnung
Zur Hoffnung gehört der Mut zum existenziellen Sprung. Der Rapper Kontra K drückt es so aus: Hoffnung ist der Fallschirm, der uns rettet,
und der Grund, warum ich springe. Es ist der Grund, warum mein Sound so klingt, wie er klingt. Welche Lebensmelodie, welchen Sound hören Menschen, wenn sie mich, mein eigenes Leben wahrnehmen?
Mit Fulbert Steffensky gesprochen gibt es nicht nur die Kanzel der Worte, sondern auch die Kanzel der Taten. Nein, ich kann die Welt, die Kirche, mein eigenes Leben nicht retten. Das ist Gottes Sache – und das ist auch gut so. Doch ich kann versuchen, in meinem Teil Gutes dazu beizutragen.
Ich kann versuchen, gemeinsam mit anderen die Herausforderung anzunehmen, die sich uns in unserer Zeit stellen – auch, wenn ich mir vielleicht andere Zeiten wünschen würde. Und ich kann vor allem versuchen, mich dabei von den Verheißungen Gottes leiten zu lassen. „Tut um Gottes willen etwas Tapferes.“ (Zwingli) Hoffen: Das meint, heilsam verrückt zu sein, um nicht verrückt zu werden.
6. Die Wirkung der Hoffnung
Meine persönliche Quintessenz der Hoffnung in sechs kurzen Thesen:
1. Hoffnung ist das, was mir in Momenten letzter Einsamkeit hilft, nicht aufzugeben. „Ich muss mir von meinen Ängsten ja nicht alles bieten lassen.“ (Frankl)
2. Hoffnung ist etwas, was ich nie alleine habe. Sie lebt davon, dass ich sie mit anderen teilen.
3. Hoffnung macht Menschen aktiv. Sie macht uns stark zu handeln.
4. Und sie hilft uns auch, wieder loszulassen und die Zukunft in Gottes Hände zu legen.
5. Hoffnung ist widerständig, „paradox“ im wahrsten Sinne: Es gehört zu ihrem Wesen, dem Augenschein zu widersprechen.
6. Und schließlich: Hoffnung braucht einen starken „letzten Grund“ außerhalb ihrer selbst. Sonst wird sie naiv und verkommt zum bloßen positiven Denken.
7. Orte der Hoffnung
Kirche sind Orte der Hoffnung. Sie tun mir gut, weil sie mich nach oben ziehen, weil ich eintauchen kann in die alten Hoffnungsgeschichten
weil ich anderen begegnen kann und weil ich loskomme von dem ständigen Kreisen um mich selbst. Wenn ich Hoffnung brauche, gehe ich manchmal erst einmal in die Kirche, um zu beten.
Kirche ist gelebte Hoffnungsgemeinschaft. In der Bahnhofsmission habe ich das selbst gelernt: mit einer 80-jährigen Renterin, früher Krankenschwester, gemeinsam Kaffee, Essen verteilt an alle Menschen, die da aus den verschiedensten Gründen gestrandet sind. Manchmal wird das von anderen belächelt. Gutmenschentum. Doch für mich heißt das, Hoffnung zu leben.
Und ich erlebe in unseren Gemeinden immer wieder Menschen, die das tagtäglich versuchen. Gerade auch für die Menschen, die sonst niemanden haben. Oder um es mit den Worten Jesu beim Weltgericht zu sagen (Matt 25):
„Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben.
Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben.
Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.
Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet.
Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht.
Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“
„Was ihr einem dieser geringsten meiner Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“
Gott segne Sie alle, die Sie so Hoffnung leben und mit anderen teilen.
Foto:
Hoffnung: Ein kleiner Pflanzenspross wächst aus einem Abfluss hervor.
© Luca Peter / fundus-medien.de
Info:
Der Autor ist Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland
Weitere Texte: www.glauben-denken.de
Als Bücher: www.bod.de