Martha Argerich spielte in Berlin das Schumannkonzert

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Man kann es im Grunde gar nicht glauben: Seit einer schweren Operation vor wenigen Jahren hat Martha Argerich nur noch eine halbe Lunge, konzertiert aber mehr denn je und frappierend mit gewohnter Kraft.

 

Mittlerweile 73 Jahre alt ist die Argentinierin, auch mit ihrer inzwischen silbrig-grauen Mähne immer noch eine Löwin, und zugleich nach einer mehr als 50-jährigen, Karriere in grandioser Topform.

 

So oft wie in den vergangenen zwölf Monaten habe ich die für ihre Depressionen, Kettenrauchen und zahlreiche Absagen Berüchtigte früher in einem ganzen Jahrzehnt nicht erlebt: Da war das Konzert mit Gidon Kremer und anderen namhaften Künstlern in Berlin für die Menschenrechte in Russland, gefolgt von einem unvergesslichen vierhändigen Auftritt mit Daniel Barenboim bei den Berliner Festtagen und Tschaikowskys leidenschaftlichem ersten Klavierkonzert zum Auftakt in Verbier und nun, wieder in Berlin, an drei Abenden das a-moll-Konzert von Robert Schumann mit den Berliner Philharmonikern unter Riccardo Chailly.

 

Es war ein wunderbar beseelter und poetischer Vortrag, bei dem freilich die „Pranke“ nicht fehlen durfte, die zuvorderst bei den wuchtigen Akkorden des Finalsatzes zum Einsatz kam.

Vor allem aber gefiel das intime Dialogisieren zwischen Klavier und Solo-Klarinette, dynamisch und klanglich fein abgestimmt im engen Blickkontakt. So filigran und nuanciert wird man den zweiten Satz, das „Intermezzo: Andantino grazioso“ wohl so schnell nicht wieder hören, zumal nicht vergleichbar sensitiv und gesanglich auf den Tasten erfühlt.

Anders gesagt, Martha Argerich beeindruckt nie nur mit Perfektion und Technik, sondern empfindet spürbar jede Emotion in jeder noch so kleinen Phrase.

 

Aber auch schon an ihrem ganzen Auftreten wird spürbar, dass wir es hier mit einer Künstlerin zu tun haben, die weder sich noch ihrem Publikum noch etwas zu beweisen hätte und es ebenso wenig nötig hat, sich äußerlich glamourös herauszuputzen. Über das Star- und Showgehabe so mancher jüngerer Kolleginnen ist sie erhaben. Martha Argerich trägt ein schlichtes schwarzes Kleid, das nicht eine Minute ablenkt von der Musik. Dazu passt es, dass sie als Zugabe kein Bravourstück auswählte, sondern das leicht versponnene „Traumes Wirren“ aus Schumanns Fantasiestücken. Es kam herrlich schwerelos daher, wie ein Schmetterling, umflort von mildem Parfum.

 

Warum Chailly und die Berliner, die den Abend stimmig mit Mendelssohns Ouvertüre zu „Ruy Blas“ eröffneten, nach der Pause von den Gefilden der deutschen Romantik in die russischen wechselten, blieb allerdings etwas unklar. Rachmaninows Dritte hat zwar so manch schöne lyrische oder tänzerische Motive zu bieten, aber auch so einiges Tschingderassabum und ist deshalb auch nicht recht vergleichbar mit Tschaikowskys häufiger gespielten, tiefgründigeren Fünften, mit der sie der britische Dirigent Sir Henry Wood einmal vergleichen wollte. Eine Sinfonie von Schumann oder Brahms hätte sich an das Klavierkonzert konsequenter angeschlossen.

Den finalen Jubel für ihre glanzvolle Wiedergabe hatten sich die Berliner, allen voran die blendend disponierten Bläser, und ihr Leiter Chailly aber allemal verdient.