p bundesarchiv bild 147 1277 volksgerichtshof helmuth james graf v. moltkeWas wollten die Männer des 20. Juli?, Teil 2/2

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Stauffenberg kehrte in dem Glauben nach Berlin zurück, das Attentat sei geglückt. Die Meldung über den Fehlschlag hatte dort inzwischen die Unsicherheit im inneren Kreis der Verschwörer verstärkt. Über die unter ihnen seit langem herrschende Stimmung bekannte der zu ihrem Kreis gehörende General Fromm bereits am 20. 2. 1943 in seinem Tagebuch: „Der eine will handeln, wenn er Befehl erhält, der andere befehlen, wenn gehandelt ist . . .“ Da es der Chef des Nachrichtenwesens, der in die Attentatspläne eingeweihte General Fellgiebel nicht vermochte, die „Wolfsschanze“ wie vorgesehen von der Verbindung zur Außenwelt abzuschneiden, konnte die Kamarilla um Hitler unverzüglich Gegenmaßnahmen einleiten.

Kritisch äußert sich auch Dr. Franz Reuter in seinem Buch über das Verhalten der Verschwörer: „Auch nach dem Misslingen des Attentates brauchte nicht alles verloren zu sein, wenn die weitere Durchführung besser vorbereitet, oder richtiger gesagt – die militärischen Vorbereitungen waren jedenfalls sehr umfangreich – nicht zu einseitig auf den Tod Hitlers abgestellt gewesen und nach dem Misserfolg ein anderer hoher Offizier vor die Front gesprungen wäre. Dass Letzteres nicht geschah, wird immer unbegreiflich bleiben.“ Über den entscheidenden Punkt des „Fehlschlages“ schreibt Reuter: „Im tiefsten Grund ist der 20. Juli misslungen, weil die Generale sich viel zu spät und zu wenig entschieden und umfangreich hinter die Zivilisten gestellt haben. Immer wieder haben sie Ausreden aus der jeweiligen Situation gehabt.“

Tatsächlich hatten die Verschwörer Vertrauensleute und Anhänger in vielen ausschlaggebenden Kommandostellen der Wehrmacht, in der Spionage und Abwehr, ja sogar in Dienststellen der SS und Gestapo. Sie verfügten somit über eine große Anzahl von Waffen, aber vor dem offenen Kampf schreckten sie zurück, wobei - wie bereits ausgeführt – der entscheidende Mangel das Fehlen einer engen Beziehung zu den im Volk verwurzelten Widerstandsgruppen und zum Volk überhaupt war.


Die Pläne der Verschwörer

Bleibt die Frage, welche Ziele die Verschwörer anstrebten. Günther Weisenborn schreibt in dem Buch „Der lautlose Aufstand“, dass über die Frage der Berechtigung des von den Verschwörern eingeschlagenen Weges, einen Staatsstreich von oben zu versuchen, statt von unten die Opposition der Massen zu aktivieren, in Widerstandskreisen viel diskutiert worden ist. Es liegt eine Reihe von Äußerungen vor, wonach es verschiedenen Teilnehmern der Verschwörung nicht darum ging, mit dem Kriegswahnsinn Schluss zu machen, sondern ein Arrangement mit den westlichen Alliierten zu suchen, um dort Kräfte für eine Niederringung der Sowjetunion zu mobilisieren. „Das Hauptmotiv für ihre Aktionen“, so schreibt Allen W. Dulles in seinem Buch „Verschwörung in Deutschland“ auf Seite 170, „ist der glühende Wunsch, Zentraleuropa davor zu bewahren, ideologisch und faktisch unter russische Herrschaft zu kommen.“ Weiter heißt es: „Anfang Mai 1944 bekam Gisevius aus Berlin einen Plan...Der Hauptinhalt des Planes war, dass die antinazistischen Generale den amerikanischen und britischen Truppen den Weg für die Besetzung Deutschlands frei machen und gleichzeitig die Russen an der Ostfront festhalten würden.“

Aus dem von Goerdeler im Fall des Gelingens des Attentates für die Presse bestimmten „Aufruf an das deutsche Volk“ geht hervor, dass möglicherweise nicht einmal an einen sofortigen Rückzug der deutschen Truppen aus den völlig zu Unrecht überfallenen und besetzten Ländern gedacht war. Auch die Frage, ob die generelle Einstellung des Krieges geplant war, bleibt in dem Aufruf offen. Es heißt nämlich darin: „Unsere erste Aufgabe wird sein, den Krieg von seinen Entartungen zu reinigen.“ Es sollte dafür gesorgt werden, „dass, soweit zur Zeit noch fremde Gebiete besetzt gehalten werden müssen, den Betroffenen die volle Selbstregierung wieder ermöglicht und die Anwesenheit deutscher Truppen so wenig lastend wie möglich gemacht wird.“ 


Einseitige Orientierung

Der schon genannte Franz Reuter schreibt zu den außenpolitischen Absichten der Verschwörer des 20. Juli: „Was die eminent wichtige Frage der Außenpolitik angeht, so hoffte man ganz überwiegend, zunächst mit den angelsächsischen Mächten zu Rande zu kommen. Man wollte aber auch gleichzeitig den Krieg im Osten beenden, nur dass man mehr, wenn auch keineswegs ausschließlich, Sympathie und Anknüpfungsmöglichkeiten nach dem Westen hatte... Der als Außenminister in Aussicht genommene ehemalige römische Botschafter von Hassel, Schwiegersohn des Großadmirals Tirpitz, stand mit seinem Gefühl dem Westen nahe.“ Der nachfolgende Satz Reuters lässt darauf schließen, dass verschiedene Mitverschwörer an ein Konzept dachten, das sich in außenpolitischer Hinsicht von dem der NS-Regierung nur graduell unterschied. Er schreibt: „Ich selbst habe frühzeitig die Auffassung vertreten, dass der Anstoß für eine kühne oder ungewöhnliche Außenpolitik von jemand anderem (als von Hassel) hätte ausgehen müssen.“


Was wollten die Generale?

Eine Bestätigung für die im Kreis der Verschwörer gehegte Absicht, mit dem Westen gegen den Osten zu paktieren und zu kämpfen liegt in folgender Mitteilung Reuters: „Ich selbst habe frühzeitig den Standpunkt vertreten, dass mit einer Entzweiung zwischen den angelsächsischen Mächten und Russland vor der siegreichen Beendigung des Krieges nie zu rechnen sei...“ Danach haben solche Spekulationen bei verschiedenen Angehörigen des Kreises 20. Juli zweifellos eine Rolle gespielt und sie in dem Gedanken bestärkt, das Kriegsgeschick mit Hilfe westlicher Panzer und Kanonen in einer Weise zu wenden, die möglicherweise den Ambitionen der Generale, nicht aber den Interessen des von den Folgen der verflossenen Kriegsjahre schwer getroffenen Volkes entsprochen hätte.

Dass es Absichten dieser Art gab, spricht indessen nicht gegen jene Verschwörer, die sich ehrlich und mit höchstem persönlichen Mut für die Interessen des Volkes einsetzten und Tapferkeit bis zum Tod bewiesen. Unter ihnen befanden sich Männer, die die Volkskräfte bei der Beseitigung des Naziregimes nicht ausschalten wollten und die – wie Graf Stauffenberg und Adam Trott – Verbindung zu aktiven Widerstandsgruppen hatten und für ein Bündnis mit ihnen eintraten


Das Verdienst anderer Widerstandskreise

Nach allem was über den 20. Juli bekannt geworden ist, muss gesagt werden, dass – unter Zugrundelegung der Volksinteressen und der Ideale der Widerstandsbewegung – die an jenem Tag wirksam bzw. nicht wirksam gewordenen Kräfte positive und negative Elemente vereinten. Die Vorgänge um den 20. Juli sind als Widerstandshandlung gegen ein barbarisches Regime in die Geschichte eingegangen und verdienen eine entsprechende Würdigung.

Verfehlt wäre es jedoch, diese Tat als die einzig erwähnenswerte Widerstandshandlung zu betrachten. Schon lange bevor der Kreis um den 20. Juli die Notwendigkeit von Abwehrmaßnahmen erkannt hatte, waren Widerstandskämpfer für die Beseitigung des Naziregimes eingetreten. Um der geschichtlichen Wahrheit willen muss gesagt werden, dass es sich hier vornehmlich um Kommunisten und Sozialdemokraten handelte. Wegen ihres unerschrockenen Kampfes wurden ungezählte auf barbarische Weise ermordet. Die Tragik ihres Opfers liegt darin, dass sie nicht rechtzeitig zum gemeinsamen Handeln zusammenfanden.

Trotz aller Vorbehalte im Hinblick auf den 20. Juli wehren sich die überlebenden Widerstandskämpfer entschieden dagegen, die Verdienste der positiven Kräfte des 20. Juli wie überhaupt die Widerstandsbewegung herabzuwürdigen. Ihr Ansehen und ihre Ehre gilt es gegen alle zu verteidigen, die durch die politische Entwicklung in der Bundesrepublik und das Wiedererstarken militaristischer Kräfte dazu ermuntert werden, sie als „Landesverräter“ zu verdächtigen und ihre edlen Motive in Frage zu stellen. Was die Versuche des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Heusinger, angeht, sich vor die Männer des 20. Juli zu stellen, so hätte er besser daran getan, sich 1944 zu ihnen zu bekennen!

Anmerkung: Allen W. Dulles, ehemals Direktor des amerikanischen Geheimdienstes CIA; Hans Bernd Gisevius war Verbindungsmann der Widerstandsgruppe um Generaloberst Beck zum US-Geheimdienst. Carl Friedrich Goerdeler sollte nach der Beseitigung Hitlers das Amt des Reichskanzlers übernehmen.

Foto:
Graf von Moltke © Bundesarchiv

Info:
Ohne den Remerprozeß von Braunschweig, den 1952 der damalige Generalstaatsanwalt von Braunschweig, Fritz Bauer, in Gang setzte und als Ankläger führte, wäre der Widerstand gegen das Naziregime zu Zeiten des Dritten Reiches in der frühen und noch immer nazidurchseuchten Bundesrepublik nicht zu einem positiven Fanal geworden. Und bis er das war, dauerte es sowieso noch länger. Aber Bauer hatte mit Bezug auf den Tyrannenmord der Antike so gut argumentiert, daß sich das Gericht seiner Auffassung anschloß und das Dritte Reich als Unrechtsstaat brandmarkte und den Widerstand vom 20. Juli 1944 als legitim erklärte. Wir verweisen an dieser Stelle gerne immer darauf, daß zwar die SS-Witwen nach 1945 ihre Witwenrenten erhielten, aber die Witwen der ermordeten Widerstandskämpfer eben nicht, denn ihre Männer waren ja bis dato dem NS-Recht gemäß Vaterlandsverräter. Das änderte das Urteil von 1952.

Außerdem gibt es den interessanten, ja geradezu liebevollen Dokumentarfilm über den kommunistischen und adligen Widerstand anhand zweier Personen: Film: Der Junker und der Kommunist", D 2009, 71 Min. R: Ilona Ziok
Weltexpresso hatte eine Veranstaltung mit der Filmaufführung  am 21.Juli 2015  angekündigt und wir lesen berührt, daß Erardo C. Rautenberg damals moderiert hatte, der in der Nacht auf Dienstag verstarb, wie wir berichteten.

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