Bildschirmfoto 2020 04 11 um 07.34.17DAS JÜDISCHE LOGBUCH  vom 8. April 2020

Yves Kugelmann

Basel /Weltexpresso) - . «Mein jüdischer Name ist Pessach» sagte der Dichter an diesem Nachmittag im April 1970 lächelnd zu seinem Freund. Pessach, zu deutsch Überschreiten. 50 Jahre später im April am Grenzzaun. Da sind sie wieder, die Grenzkontrollen, die Beamtengespräche. Am Zoll ins Elsass in St. Louis oder nach Deutschland in Riehen. Grenzerfahrungen sind nun andere geworden – im doppelten Sinne der Worte.

Auf dem Bahnsteig am badischen Bahnhof oder in Basel werden Menschen willkürlich kontrolliert – und eben doch nicht so willkürlich. Es ist das Aussehen. Das Stigma ist wieder da – weg war es nie. Europa zerfällt wieder in seine Einzelteile. Die Tage vor Pessach könnten an Symbolik nicht stärker aufgeladen sein: Grenzen, Trennung, Aussetzung von Grundrechten, für viele existentielle Ängste und Bangen um die Freiheit.

75 Jahre nach Ende der Schoah kurz vor der Befreiung vom 8. Mai fällt Europa in Vorzeiten zurück. Mit anderen Vorzeichen, ja. Doch mit vereinter anstatt nationaler Politik hätte dies für die Menschen und Familien in Europa in Zeiten von Corona anders sein können. Es hätte anders sein müssen. Denn 2020 ist das Gegenteil von 1945. Kein Krieg, sondern Frieden. Doch auf einmal Frieden ohne Solidarität, aber mit viel Nationalität. Da sind sie wieder, die Beamten mit der Sprache der Herabwürdigung. Die Menschen vor ihnen in Angst, ganz klein.

Hat wirklich ein Virus alles so weit kommen lassen, oder war es immer schon da? Es gab doch einst die andere Sprache: «Die Sprache schlägt nicht nur die Brücken in die Welt, sondern auch in die Einsamkeit», schrieb der Dichter in Briefen. An diesem Nachmittag in Paris nannte er sich bei seinem jüdischen Namen «Pessach». Am Abend überschritt er die Grenze in den Tod in Paris. Der Dichter war Paul Celan). Er konnte nur diese Grenze überschreiten – an den anderen prallte er auf der Flucht ab. Wenn die Freiheit wieder da ist, wird sie neu verhandelt werden müssen. An diesem Pessach an jedem Sedertisch, bald in Parlamenten und im öffentlichen Raum.


Foto:
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 8. April 2020
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.



Share?Twitter?