GROLL von Gianrico Carofiglio auf Platz

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im November 2023, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Carofiglio gehört zu den wenigen Autoren von Kriminalromanen, die sich jedesmal von Neuem erfinden können. Hier gleicht kein Roman dem anderen. Und vor allem hat er kein Problem damit, sein literarisches Personal in einer Art auszuweiten, ganz neue Personen einzuführen, die man sonst in Kriminalromanen kaum antrifft. So eine ist auf jeden Fall Penelope Spada.

Nun muß man sich nicht wundern, daß Gianrico Carofiglio über ein reiches Reservoir an Figuren verfügt, denn der 1961 in Bari geborene frühere Staatsanwalt und sogar Senator in Rom braucht nicht mal neue Geschichten und neue Figuren erfinden, er braucht sich nur in seinem Aufgabenbereich umzuschauen und
dann nur Ansätze weiterentwickeln. Aber eine Penelope Spada ist ihm da dennoch nicht über den Weg gelaufen. Sie war – erfahren wir gleich zu Beginn – Staatsanwältin aha, sie war, was ist passiert? - und nicht nur das, sie war auch eine erfolgreiche Stabhochspringerin und im Roman wird einer feststellen, daß ihre fachlichen Methoden damit zu tun haben.

Eingebettet ist die eigentliche Geschichte in eine Kennenlernszenerie, in der die von Männern frustrierte Penelope gleich am Anfang einen gelassenen und unaufdringlichen Mann kennenlernt, wobei ihr ihr äußerlich gewaltiger Bullterrier, aber zutiefst sanftmütiger Hund Olivia das Binde-, ja Bindungsglied wird, was als zarte, aber deutliche Andeutung der Schluß bringt.

Dazwischen also die Geschichte, die es in sich hat. Ein bedeutender, sehr bekannter, überall vernetzter Mailänder Chirurg, Universitätsprofessor ist er auch, alt dazu, mit einer jungen schönen Frau wird tot aufgefunden. Ihn findet die Haushaltshilfe, die den Hausarzt ruft, der den Tod durch Herzinfarkt feststellt. Die Gattin war nachweislich auswärts, denn natürlich ist die Kombination altes Geld, junge Schönheit eine, die Verdächtigungen nach sich zieht, daß da etwas nicht mit natürlichen Dingen zugegangen ist.

Doch die Einäscherung ist schon lange vorbei, als der Tochter, die in den USA lebt, der Verdacht kommt, daß des Vaters Tod doch nicht natürlich gewesen sei. Sie hatte sich damit abgefunden, daß ihre Stiefmutter Alleinerbin war, aber dann erfährt sie, daß ihr Vater Tage vor seinem Tod über eine Änderung des Testaments mit dem Notar gesprochen hatte, aber eben nicht schriftlich vollzogen hat. Jetzt will sie wissen, was los ist. Sie hat herumgefragt und den Namen Penelope Spada erhalten, als eine, die so schnell nicht aufgibt und Täter überführt. Die beiden werden einig.

Die beschattet erst einmal die junge Witwe, ja meldet sich in deren Fitßneßclub an, wo Spada ob ihrer extremen sportlichen Kondition allgemein bewundert wird. Schnell wird ihr klar, was die erfahrene Krimileserin Penelope hätte verraten können: solche geborene Verdächtige wie junge Ehefrauen sind es dann nie. Und so ist es auch, sie stellt sich nicht nur als unschuldig, sondern sogar als besonders sympathisch heraus. Natürlich hat sie ihn des Geldes wegen geheiratet, hat sich ihm gegenüber aber immer gut verhalten. Ermittlungstechnisch eine Sackgasse.

Dazwischen aber gibt es Rückblenden der Ex-Staatsanwältin, die nach und nach klar machen, was passierte und ihren Rausschmiß nach sich zog. Da hatte sie nämlich schon mit dem toten Arzt zu tun gehabt. Es ging um eine illegale Freimaurerloge, die als Mafia fungiert, wo die junge Staatsanwältin ohne gerichtliche Anordnung Ermittlungen in Gang setzte, die erfolgreich gewesen wären, wenn nicht der junge Mann Selbstmord begangen hätte, was für sie Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung, ein Disziplinarverfahren und die anschließende Amtsenthebung nach sich zog.

Eigentlich ist es nicht eine Krimihandlung, die einen beschäftigt, sondern das innere Zerreißen, der die Staatsanwältin ausgesetzt ist, weil Recht so oft nicht Gerechtigkeit bedeutet, und die legitime Frage einfach ist: was darf ich tun, wenn ich den Schuldigen kenne, ihm aber auf legalem Wege nichts nachweisen kann. Das sind Fragen, die beim Lesen einfach auftauchen und sicher vom Leser eine Antwort finden. Ich habe auch eine, denn ich bin immer eine, der die Legitimität wichtiger ist als die Legalität.

Die junge Staatsanwältin war daran zerbrochen, wir sehen zu, wie sie durch neue Ermittlungen sich auf einen Heilungsprozeß begibt.